Eisenbahnprojekte sind technisch komplex und betreffen zahlreiche Fachgewerke. Dies gilt besonders für Großprojekte und größere Sperrpausen mit zahlreichen gebündelten Maßnahmen. Die Umsetzung von Projekten erfolgte bisher, insbesondere unter der Prämisse, die Einschränkungen für die Kunden möglichst gering zu halten, in nächtlichen Sperrpausen oder Sperrungen während der Schulferien. Dies hat zur Folge, dass die Baustelle immer wieder neu eingerichtet und geräumt werden muss. Durch die verstärkte Nachfrage in Bezug auf den Verkehrsträger Schiene als eine der zentralen Lösungen für die Klimawende im Verkehrssektor müssen die Schienenwege ausgebaut werden, was zu einem starken Anstieg des Bauvolumens führt. Die Abwicklung des Bauvolumens in kurzen Sperrungen ist somit nicht mehr umsetzbar.
Aktuelle Herausforderungen für die Realisierung von Bahnprojekten
Die Baumaßnahmen müssen einerseits so geplant werden, dass sie zu möglichst wenig Streckensperrungen führen. Andererseits müssen die Maßnahmen schnell realisiert werden, um der steigenden Nachfrage nachzukommen. Dies gilt insbesondere auch im Rhein- Ruhr-Korridor, da einige Strecken aufgrund des schon existierenden Verkehrs bereits aktuell als überlastete Schienenwege klassifiziert sind. Anstehende Ausbaumaßnahmen und dringend notwendige Erneuerungen und Instandhaltung von Bestandsanlagen erfordern zusammenhängende und längere Sperrpausen, in denen eine Vielzahl von Maßnahmen effizient umgesetzt werden müssen.
Durch die gesetzlichen und vergaberechtlichen Rahmenbedingungen sowie unter- schiedlichen Projekte, die in den Sperrpausen gebündelt werden, kommt es regelmäßig dazu, dass selbst für ein einzelnes Gewerk mehrere Bauauftragnehmer auf der Baustelle tätig sind. Hinzu kommen notwendige Vorabmaßnahmen, wie Leitungsänderungen durch die örtlichen Versorger sowie Kampfmitteluntersuchungen. Ferner gibt es, je nach Ort der Baumaßnahme, individuelle logistische Herausforderungen, wie beispielsweise zu berücksichtigende
Veranstaltungsverkehre oder Industriestandorte von großer Wichtigkeit. Bedingt durch die enge Abhängigkeitsverzahnung der Gewerke untereinander, die örtlichen Gegebenheiten, Umwelteinflussfaktoren, Ver- und Entsorgungsströme und Infrastrukturbelastungen sind komplexe Sperrpausen in der Abwicklung risiko- und konfliktbehafteter als kleinere, überschaubare Bauprojekte mit exklusiven Sperrpausen. Eine detaillierte Logistiksteuerung sowie innovative Lösungsansätze für die Bauabwicklung sind daher von großer Relevanz.
Anwendung im Projekt: ESTW Duisburg 2. Baustufe
Das Projekt ESTW Duisburg 2. Baustufe ist mit Blick auf die Kompletterneuerung der Signalanlage ein gutes Beispiel für die Komplexität von Bauvorhaben der DB. Die Lage des Projektes, mitten im Herzen des Ruhrgebietes, auf der Haupttangente zwischen Duisburg Hbf und EssenHbf, hätte bei einer Umsetzung in kurzen nächtlichen Einzelsperrpausen zu einer Bauzeit von etwa acht Jahren geführt. Die abgängige Alttechnik erforderte eine zügige Umsetzung der ESTW-Maßnahme. Hierfür mussten 118 Hauptsignale, neun Signalausleger und eine Signalbrücke errichtet sowie 28 km Kabeltrasse und 192 km Kabel verlegt werden. Aufgrund des großen Bauvolumens und der Dringlichkeit der Maßnahme hat die DB Netz AG entschieden, das Projekt in großen zusammenhängenden Sperrpausen (Vollsperrung zwischen Duisburg und Essen) zu realisieren. Sperrpausen sind im hochbelasteten Netz des Ruhrgebiets ein wertvolles Gut und müssen maximal effizient genutzt werden. Die zur Verfügung stehenden Sperrpausen wurden daher von zahlreichen anderen Projekten (bspw. Neubau Eisenbahnüberführung Ruhrkanal, Neubau Thyssenbrücke und mehrere Maßnahmen des RRX und des Oberbauprogramms) mitgenutzt. Aufgrund dieser Verdichtung wurden sehr schnell Konflikte zwischen den einzelnen Projekten sichtbar, da zur selben Zeit und am selben Ort Leistung erbracht werden sollten. Erschwerend kam hinzu, dass die zeitgleiche Realisierung von Oberbaumaßnahmen, LST- sowie Oberleitungsmaßnahmen am selben Ort systemisch unmöglich sind. Um diese Konflikte frühzeitig zu erkennen und aufzulösen, beauftragte die DB Netz AG den Dienstleister DigiBau GmbH mit der Baukoordination der zur Verfügung stehenden Sperrpausen. Die Erarbeitung der Bauabläufe gliederte sich in folgende Phasen:
-Abstimmen der Bauablaufpläne der verschiedenen Bauauftragnehmer aller zu konsolidierenden Projekte in Form eines Gesamtbauablaufplanes
-Erarbeitung eines detaillierten Zeitplanes mit räumlicher Zuordnung
-Definition der Konflikte und konsensuale Änderung der Bauablaufpläne der Bauauftragnehmer.
Während der Bauphase waren bis zu 150 Mitarbeiter und 48 Fahrzeuge in den Gleisen. Konflikte konnten weitestgehend vermieden werden und somit auch Baustillstand und daraus entstehende Behinderungen. Neben der beauftragten, erfolgreichen Koordination der Baufirmen ergaben sich auch nennenswerte Nebeneffekte:
-Sehr schnelle Reaktion auf Störungen, wie falsch gelieferte Oberbaustoffe und eine Havarie auf der Autobahn A40 mit anschließendem Abriss beschädigter Eisenbahnbrücken im Baufeld
-Tracking des Bauablaufes mit der Möglichkeit, Bewegungen aller Fahrzeuge im Baufeld nachzuvollziehen und daraus digital den Baufortschritt abzuleiten
-signifikante Senkung von Baunachträgen im Vergleich zu Vorläuferprojekten.
Anwendung im Großprojekt Rhein-Ruhr-Express (RRX)
Das Projekt RRX ist derzeit das größte öffentliche Personenverkehrsprojekt in NRW. Aktuell finden die Hauptbaumaßnahmen in den Abschnitten Leverkusen und Langenfeld (Abb. 2) statt. Insgesamt werden in den beiden Bauabschnitten ca. 6,5 km neues Gleis realisiert, elf Brücken erweitert, 5 km Lärmschutzwand, 91 Signale, ca. 84 km Kabel, 250 Oberleitungsmaste, 27 Weichen und zwei Stellwerke neu gebaut sowie der Bahnhof Leverkusen Mitte um einen neuen Mittelbahnsteig erweitert. Im Schatten der Maßnahme erfolgt ferner die Realisierung des ESTW Düsseldorf-Reisholz, das zeitgleich mit den Abschnitten in Leverkusen und Langenfeld in Betrieb gehen wird. Die ursprüngliche Planung sah eine wiederholte Sperrung der Strecken über fünf Jahre vor. Zur Minimierung der Einschränkungen auf die Kunden und zur Reduzierung der Bauzeit durch Bündelung von Maßnahmen wurde dieses Konzept wieder verworfen und stattdessen eine 14-monatige Sperrung der S-Bahn umgesetzt. Damit einhergehend ist eine Inbetriebnahme (IBN) vor dem Beginn der Fußball-Europameisterschaft im Jahr 2024, in der unter anderem Köln und Düsseldorf Spielstätten sind, möglich. Im Sinne des kundenfreundlichen Bauens werden die Sperrpausen ebenfalls für Instandhaltungsmaßnahmen und Umbaumaßnahmen Dritter genutzt.
Die Randbedingungen stellen das Projekt vor große logistische Herausforderungen: Die Abwicklung der umfangreichen Maßnahmen in den Sperrpausen erfordert das Arbeiten von bis zu 21 ausführenden Unternehmen in 65 parallel arbeitenden Bauspitzen mit über 200 Personen im Baufeld. Aufgrund der innerstädtischen Lage der Baustelle steht nur eine begrenzte Anzahl an Baustelleneinrichtungsflächen zur Verfügung.
Die DB Netz AG hat die DigiBau GmbH zur Abwicklung dieser komplexen Maßnahmen unter Betrachtung der logistischen Zwänge und Schnittstellen zu Dritten beauftragt. Zur Durchführung der Echtzeitsteuerung vor Ort wurde in Leverkusen eine Logistikzentrale errichtet, in der während der Sperrpausen auch der leitende Bauüberwacher angesiedelt ist. Für den Gleisbereich wird unterstützend zu der üblichen Kommunikation zwischen dem leitenden Bauüberwacher und dem jeweils zuständigen Fahrdienstleiter der erforderliche Fahrweg mit den zu überfahrenden Weichen digital übermittelt und der Tourverlauf somit visualisiert. Dies erleichtert die Koordination der Vielzahl an Fahrbewegungen in den unterschiedlichen Gewerken im Baufeld.
Das Vorgehen wurde mit dem Eisenbahnbetriebsleiter sowie dem Betrieb abgestimmt. Die Regelungen der Richtlinie bleiben davon unberührt. Die Erfahrung der ersten Monate zeigt, dass das Vorgehen von allen im Prozess Beteiligten (bspw. Fahrer eines Zweiwegebaggers, Bauüberwacher, Fahrdienstleiter) als sehr effizient und arbeitserleichternd wahrgenommen wird. Die Vielzahl an Baumaßnahmen in Leverkusen führt zu umfangreichen Schnittstellen zur Fußgänger-, Radweg- und Kraftverkehrsführung. Bei der Erarbeitung von bauzeitlichen Lösungen sind die Betroffenheiten des angrenzenden Chemparks Leverkusen, der zu- und abfließende Verkehr der Leverkusener Innenstadt sowie die Wegeleitung von Fußballfans vor und nach den Spielen des Bundesligaerstligisten Bayer 04 Leverkusen zu berücksichtigen. Für letztere werden individuell bei jedem Heimspiel die Anforderungen in Bezug auf die Wegeführung sowie die Bauzustände an mehreren Baustellen im Leverkusener Baubereich definiert. Um eine Entlastung für die Verwaltung herbeizuführen und die verkehrsrechtlichen Anordnungen der Vielzahl an parallel erfolgenden Maßnahmen vorab bereits im Projekt zu konsolidieren, erfolgt auch hierbei die Koordination seitens des Logistikers.
Als Beispiel für die effiziente Abwicklung hochkomplexer Maßnahmen ist die Brückenerweiterung für das vierte Gleis am Willy- Brandt-Ring in Leverkusen (Abb. 3) zu nennen. Der Willy-Brandt-Ring ist die wichtigste Zufahrtsstraße nach Leverkusen sowie zum Chempark und dient als Zufahrt und Umleiterstrecke von hochfrequentierten Autobahnen. Zudem handelt es sich um eine wichtige Einsatzroute für die angrenzende Hauptfeuerwehrwache. Ursprünglich war die Erweiterung mittels Hilfsbrücken über eine Bauzeit von elf Monaten geplant. Um die Auswirkungen auf den Straßenverkehr zu minimieren und die Logistik der darauf aufbauenden Bahnbaumaßnahmen zu optimieren, wurde die Bautechnologie umgestellt. Nach der Gründung der Verschubbahn sowie dem seitlichen Herstellen der Brücke im Januar 2022 wurde im April 2022 in einer nur zehntägigen Sperrpause die Bestandsbrücke abgerissen, die Bohrpfähle gegründet und die Brücke mit einer Lichten Weite von 22,42 m und einem Gewicht von 1500 t eingeschoben.
Auch die Folgegewerke auf dem Brückenbauwerk (Gleisbau, Oberleitungsanlage) wurden innerhalb der zehn Tage fertiggestellt, sodass sowohl die Gleise als auch die Straße pünktlich wieder für den Verkehr freigegeben werden konnten. Zur Durchführung dieser komplexen Maßnahmen in einem so kurzen Zeitraum war eine detaillierte Ablaufplanung sowie die Koordination aller Beteiligten während der Arbeiten erforderlich. Im Vorfeld gab es zudem umfangreiche Abstimmungen mit der Straßenverkehrsbehörde, der Autobahn GmbH und zahlreichen Anliegern.
Konkretisierung der frühzeitigen Analyse am Beispiel DigiBau GmbH
Die gestellten Projektanforderungen (kurze Projektrealisierungszeit, effizientes, paralleles und komplexes Bauen in innerstädtischen und schützenswerten Umgebungen) machen den Einsatz von digitaler Baulogistik erforderlich. Durch die Erfahrungen aus der Abwicklung von Totalsperrpausen wurde schnell deutlich, dass die in Großprojekten erforderliche Baueffizienz nicht mit dem Einsatz einer Baulogistik allein für den Zeitraum von Totalsperrpausen zu erreichen ist. Weiter wurde durch die umfassende Auswertung der Logistikkennzahlen deutlich, dass ein effizienter und risikominimierter Gesamtbauablauf nur durch den frühzeitigen und projektbegleitenden Einsatz einer digitalen Baulogistik möglich wird, da nur so die Gesamtbauabläufe geplant und als Grundlage für die Logistikprozesse/Echtzeitlogistikabwicklung zur Verfügung stehen. Um Gesamtbauabläufe von Beginn der Projektumsetzung bis hin zur IBN zu erstellen, sind umfassende und komplexe Variantenuntersuchungen und Bauablaufsimulationen erforderlich.
Um die Risiko- und Konfliktpotenziale zu minimieren und gleichzeitig die Gesamteffizienz der Gesamtmaßnahme zu erhöhen, wurden parallel zur Projektabwicklung ESTW Duisburg 2. Baustufe digitale Mikro-Makroregel- kreissimulationssysteme entwickelt und zur Abwicklung der Totalsperrpausen erfolgreich eingesetzt. Neben der stundengenauen Gesamtbauablaufplanung vor Beginn der jeweiligen Totalsperrpausen ist die abwicklungsbegleitende Simulation und kontinuierliche Anpassung der Gesamtbauabläufe, immer in enger Abstimmung mit den Projektverantwortlichen der DB, der zweite wichtige Baustein für eine erfolgreiche Projektumsetzung. Durch die abwicklungsbegleitende Anpassung der Gesamtbauabläufe kann innerhalb kürzester Zeit auf die dynamischen Änderungseinflussfaktoren, denen komplexe
Baumaßnahmen immer unterliegen (z.B. Unwetter, externe Brandereignisse, Pandemien, unvorhersehbare Ressourcenknappheit), reagiert und vorausschauend, zur Einhaltung des IBN-Termins, agiert werden. Neben den zwei digitalen Simulationsbausteinen ist für die erfolgreiche Projektumsetzung der dritte digitale Baustein, die Echtzeitbaulogistiksteuerung zur direkten Umsetzung der Simulationsergebnisse, zwingend notwendig. Die Echtzeitbaulogistiksteuerung sorgt, auf Grundlage der Simulationsergebnisse, für einen geregelten Baulogistikbetrieb in den Baufeldern bzw. Gleisbereichen. Zu diesem Zweck werden z. B. alle Fahrzeuge und Maschinen im Gleisbereich digital mit der vor Ort befindlichen Logistikzentrale vernetzt, um in enger Zusammenarbeit mit den technisch Berechtigten sowie den Fahrdienstleitern einen sicheren und geplanten Baubetrieb zu realisieren. Ergänzend werden die aktuellen Gesamtbauablaufplanungen / Anpassungen vor Ort mit den jeweiligen Bauauftragnehmern und zuständigen Bauüberwachern durchgesprochen sowie abgestimmt oder kurzfristig notwendige Änderungen von Bauabläufen der Bauauftragnehmer auf Umsetzbarkeit überprüft und eingetaktet.
Durch das Konsolidieren aller Bauablaufinformationen in der Logistikzentrale können die Bauabläufe in Echtzeit u. a. mittels Einsatzes einer digitalen Wand gesteuert (Abb. 4) und mit den Verantwortlichen vor Ort abgestimmt werden – vergleichbar mit dem Tower eines großen Flughafens.
Aus den erfolgreichen Praxiserfahrungen und Ergebnissen der Anwendung digitaler Systeme in der Baulogistikabwicklung beim Projekt ESTW Duisburg 2. Baustufe konnten weitere digitale Systembausteine und Verbesserungen der Simulationen entwickelt werden, um die Steuerung der Bauabläufe in Echtzeit weiter gestiegenen Projektanforderungen im Bereich der digitalen Baulogistikabwicklung des Projektes RRX umzusetzen.
Eine wichtige Anforderung des Projektes RRX ist die digitale Echtzeitbaulogistiksteuerung über den gesamten Umsetzungszeitraum vor Ort inkl. der Überprüfung der Bauphasen und einer kontinuierlichen Gesamtbauablaufsimulation (digitaler Bauablaufzwilling) bis zur IBN.
Auf Basis dieser Simulationen konnten bereits zu Beginn der Baumaßnahmen den Projektverantwortlichen der DB Netz AG Konflikte in den Bauabläufen transparent dargestellt und deren Auswirkungen sowie Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Die kontinuierlichen Gesamtbauablaufsimulationen ermöglichen zudem die Erstellung von Soll-Ist-Abgleichen der Bauabläufe als transparente Darstellung für die Projektverantwortlichen. Dadurch werden sehr schnell mögliche Terminprobleme der Einzel- und Gesamttermine inkl. IBN deutlich. Einhergehend mit der Entwicklung von Gegensteuerungsmaßnahmen und deren Umsetzung führt diese zu einer enormen Effizienzsteigerung bei gleichzeitiger Risikominimierung der Projektlaufzeit.
Fazit
Eine frühzeitige Baulogistikplanung einhergehend mit der digitalen Logistiksteuerung während der Baumaßnahme bietet die Chance, Baukapazitäten von komplexen, zeitkritischen Großprojekten weiter zu steigern und somit die Projektlaufzeiten zu verkürzen bzw. Maßnahmen noch weiter zu bündeln. Die Möglichkeiten digitaler Systeme in den Bereichen einer automatisierten, fehlerreduzierten Bauprozesserfassung bis hin zur Einbindung und Vernetzung der Ver- und Entsorgungsströme in Echtzeit werden dabei stetig weiterentwickelt, sodass sich hier in der Zukunft weitere Potenziale ergeben.